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Schriften mischen und auszeichnen: So wählen Sie die richtige Schrift für ein Corporate Design

By 7. März 2017Mai 19th, 2020No Comments
Schriftauswahl für ein Corporate Design

Beim Entwickeln eines neuen Corporate Designs (CD) steht oft die Königsdisziplin der Typografie an erster Stelle: die Auswahl der Schrift mitsamt möglichen Schriftmischungen und -auszeichnungen. Auch professionelle Designer tun sich mitunter damit schwer. Die ursprüngliche Frage bei der Auswahl von Schriften ist, ob das Produkt oder die Dienstleistung für traditionelle oder moderne Werte steht und ob zur Schriftauswahl eine Serifenschrift oder lieber eine Grotesk verwendet werden soll. Im Folgenden möchte ich dazu ein paar Praxis-Tipps geben und drei Methoden vorstellen, die ich selber häufig anwende, um schnell und sicher zu einer ansprechenden Schriftauswahl und -mischung zu kommen. Als Beispiel nehme ich dafür ein Corporate Design für ein Weingut.

Schriften finden für ein Corporate Design: Attribute sammeln im Textcluster
Der klassische Weg zur CD-Schrift führt über ein Textcluster. In diesem sammeln Sie geeignete Attribute zum Unternehmen, seinen Produkten oder Dienstleistungen, die später mit den Ausdrucksmöglichkeiten von Fonts umgesetzt werden. Mit einem Weingut verbinde ich zum Beispiel die Attribute Natur, Ökologie, Landschaft, Boden, Handarbeit, Geschmack, Lebensfreude, Genuss, Wandern etc. Danach versuchen Sie zu diesen Begriffen geeignete Fonts zu finden: Zu Natur & Ökologie würde zum Beispiel die Rockwell Bold passen, zu Lebensfreude & Genuss die Gurlz MT. Eine traditionelle Wirkung entfaltet unter anderem die Minion Pro mit der Auszeichnung in Kapitälchen. Diese Methode ist sehr zuverlässig, aber auch sehr mühselig und langwierig. Und überhaupt: Das ständige Rauf- und Runterscrollen im Schriftmenü ist keine meiner liebsten Beschäftigungen. Deshalb jetzt:

Drei alternative Methoden zur Schriftauswahl für ein neues CD

Methode 1: Die Alleskönner unter den Corporate Fonts
Wenn die Zeit drängt und mir der Kunde schon im Nacken sitzt, verwende ich bei der Gestaltung von CD-Materialien die Alleskönner und Arbeitspferde der Fonts: die Minion Pro und die Myriad Pro. Diese Fonts aus den Gruppen Serif und Non-Serif sorgen für Abwechslung im Layout und haben die bemerkenswerten Eigenschaften, dass sie zu fast jedem Corporate Design passen, sich auf fast jedem Betriebssystem befinden, untereinander gut mischbar sind und von ihrer Schriftästhetik die altgedienten Schlachtschiffe Helvetica und Times wohltuend ablösen. Sie verfügen darüber hinaus über gute Auszeichnungsformen und Open-Type-Ressourcen.

Manch einer wird jetzt einwenden, dass die Schriften aufgrund ihrer statischen und nichtstatischen Formsprache (schräges o, e bei der Minion Pro) in der Schriftmischung und Schriftauszeichnung wenig zusammenpassen. Dem möchte ich entgegnen: Typografie ist keine Formelsammlung! Also auch wenn Myriad Pro und Minion Pro nach den Regeln der Kunst nicht zusammen gehören, beweisen folgende Beispiele, dass sie sehr gut harmonieren:

ie Fonts Myriad Pro und Minion Pro als „schnelle Anwendung“ von Schriftmischung und Schriftauszeichnung im Corporate Design eines Weinguts.
Beispiel oben Die Fonts Myriad Pro und Minion Pro als „schnelle Anwendung“ im agilen Projektmanagement zur Schriftmischung und Schriftauszeichnung im Corporate Design eines Weinguts. In der Regel tausche ich die Schriften später aus, wenn in der CD-Entwicklung „Land in Sicht“ ist. Bis dahin sind sie die perfekten Begleiter, um effizient voran zu kommen.

ie Fonts Myriad Pro und Minion Pro als „schnelle Anwendung“ von Schriftmischung und Schriftauszeichnung im Corporate Design eines Weinguts.
Beispiel oben Dieselben Fonts in umgekehrter Anwendung: Für die Titelschrift habe ich die Myriad Pro in der Auszeichnung Versal verwendet. Obwohl es sich bei beiden Beispielen um die gleichen Fonts handelt, wirken die Erscheinungsbilder grundverschieden.
Methode 2: Die Zeitgemäßen unter den Corporate Fonts
Man muss nicht auf jeden Zug aufspringen, aber manchmal bewährt es sich, aktuellen Design-Trends zu folgen. In den letzten Jahren haben aus der Schriftgruppe Serif die sogenannten Slab-Fonts die Corporate Designs erobert. Sie zieren heute namhafte Fußballvereine und Automobilclubs, Müsli-Riegel, Outdoor-Hersteller, Investment-Broker, Bio-Bauern und Präsidenten-Tower – und bringen dabei deutlich und kraftvoll die unternehmerischen Attribute zum Ausdruck.
Dabei sind die Slab-Fonts eigentlich uralte Typen. In der Schriftklassifikation nach DIN 16518 gehören sie zur Gruppe 5 der Serifenbetonten Linear-Antiqua, auch Egyptienne genannt. Ihren Ursprung finden sie in den USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie sind uns aus spannenden und weniger spannenden Wild-West-Filmen bekannt („Kitty’s Saloon“ und ähnliche Aufschriften). Durch das wachsende Konsumverhalten in der Zeit der Industriellen Revolution nahm der Bedarf an Werbeblättern und Anzeigen in den Tageszeitungen massiv zu. Damit einer den anderen mit seinen Werbebotschaften übertrumpfen konnte, etablierten sich die Schriften mit den „dicken Füssen“, den Slabs.

Slab-Schriften im Corporate Design liegen im Trend
Beispiel oben Die Roboto Slab als Schriftfamilie in Titelsatz und Lesetext. Nicht nur zur Schriftmischung innerhalb eines Corporate Designs sondern auch zur Auszeichnung von Schriften innerhalb von Textblöcken sind Schriftfamilien ein sicherer Weg, um ästhetische Fehlgriffe zu vermeiden.

Methode 3: Die Praktischen unter den Corporate Fonts
Wem die ersten beiden Methoden der Schriftmischung zu simpel oder zu wenig kreativ erscheinen, der kann zur Typo-Methode „praktisch“ übergehen: den Schriftsippen oder auch heute Superfamilies genannt. Diesen Begriff können die wenigsten Gestalter wirklich erklären. Dabei haben sie Schriftsippen oder Superfamilies vielleicht schon häufiger verwendet als es Ihnen bewusst ist. Schriftsippen sind Hybrid-Schriften mit den Merkmalen aus verschiedenen Gruppen, die aber einen gleichen Charakter haben. Eine der meistbenutzen Schriftsippen ist die altbekannte Schrift Rotis des Ulmer Typografen Otl Aicher. Neben der ursprünglichen Form der serifenlosen Linear-Antiqua gibt es dieselbe Schrift noch mit Halbserifen und Serifen – und das in den verschiedenen Auszeichnungen Regular, Bold, Italic und so weiter.

Der Vorteil von Schriftsippen im Corporate Design ist: Wegen ihres gleichen Schriftcharakters wirken sie geschlossen und dennoch kreativ und abwechslungsreich. Schriftsippen sind deshalb auch bei internationalen Unternehmen sehr beliebt, die in verschiedenen Ländern und Kontinenten über unterschiedliche Produktionsstandards und nur wenige effiziente Kontrollstandards zur Einhaltung des Corporate Design verfügen.

Schriftsippen im Corporate Design sind praktisch und abwechslungsreich.
Beispiel oben Die Corporate-Fonts Roboto Slab und Roboto Regular. Diese Fonts erfüllen die praktischen Gestaltungsmerkmale einer Schriftsippe und stehen als Schriftfamilie mit allen Schriftschnitten von Light bis Black zur Verfügung. Zur typografischen Anwendung als Font fürs Web und für mobile Endgeräte sind sie daher ebenfalls bestens geeignet.

Zusammenfassung: Methoden der Schriftauswahl

Methode 1 – Die Alleskönner: Myriad Pro und Minion Pro aus den Schriftgruppen Serif und Sans Serif eignen sich zur Schriftmischung und Schriftauszeichnung und können vorübergehend und zum schnellen Einsatz für die Entwicklung eines Corporate Designs fast immer verwendet werden.

Methode 2 – Die Zeitgemäßen: Mit Trendschriften, zum Beispiel einer Slab Font aus der Schriftgruppe Serif, erzielt man oft Erfolge im Corporate Design. Beobachten Sie Trendschriften und wägen Sie ihre Anwendung ab – das schult ganz nebenbei auch Ihr typografisches Gespür.

Methode 3 – Die Praktischen: Schriftsippen oder Superfamilies genannt, also Fonts mit gleichem Charakter und den Merkmalen aus verschiedenen Gruppen, sind die sicherste und abwechslungsreichste Schriftwahl für ein Corporate Design: Sie sind vom Font-Designer eigens als Sippe gezeichnet und daher ästhetisch unproblematisch zu mischen. Sie bringen Abwechslung und Kreativität ins Design.

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